Flughafen BER »Willy Brandt« oder: Haftung des Aufsichtsrats?

Die Szenarien ähneln sich: Essenziell wichtige Geschäftsziele des Unternehmens sind verpatzt, eine Welle von Schadenersatzansprüchen rollt. Das Image ist beschädigt.

Foto: Absturz

Bei dem geplatzten Eröffnungstermin des Flughafens BER »Willy Brandt« haben sich die Länder Berlin und Brandenburg zudem der Lächerlichkeit preisgegeben. Als gelte es zu beweisen, dass öffentliche Großprojekte sich nicht durch Kompetenz in Leitung und Umsetzung auszeichnen.

Eines funktioniert stets und gewiss: Reflexhaft erklärt der Aufsichtsrat, er habe von dem sich anbahnenden Desaster nichts gewusst.

Kann ein Aufsichtsrat durch Nichtwissen glänzen? Wozu ist er da und wer wird berufen?

Aufgaben des Aufsichtsrats

Der Aufsichtsrat ist das Kontrollgremium zur Überwachung der Geschäftsführung, § 111 Abs. 1 AktG. Dabei darf er den Vorstand nicht bevormunden, sondern beratend unterstützen. Die Kontrollpflichten umfassen sowohl die Tätigkeiten der Geschäftsführung als auch unterlassene Maßnahmen. Für diesen Zweck ist der Aufsichtsrat mit Einsichts- und Prüfrechten ausgestattet. Das ergänzt die aktive Berichtspflicht des Vorstands bzw. der Geschäftsführung, § 90 AktG.

Der Aufsichtsrat darf den Berichten der Geschäftsleitung vom Grundsatz her Vertrauen schenken. Das heißt jedoch nicht, dass der Aufsichtsrat im Krisenfall »von allem nichts gewusst« haben darf. 

Im Gegenteil: Wenn die Berichte der Geschäftsleitung gewissenhaft und nicht oberflächlich sind, kündigen sich für den Aufsichtsrat die Probleme des Unternehmens an. Eine Krise entsteht nicht aus dem Nichts. Das bedeutet für den Aufsichtsrat, dass er die Anzeichen eines Unheils sehen kann, um ihnen mit verstärkter Beratung und Befragung nachzuspüren.

Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats

Wenn der Aufsichtsrat vor der Krise »ahnungslos« bleibt, spricht einiges dafür, dass er seinen Pflichten nicht mit gebotener Sorgfalt nachgekommen ist. Er hat Oberflächlichkeiten in der Berichterstattung zugelassen oder diese allzu schnell »abgenickt«. Er mochte nicht die Mühe auf sich nehmen, intensiver nachzuforschen, womöglich mangelte es an Qualifikation, den Aufgaben in einem sehr ernst zu nehmenden Kontrollgremium gerecht zu werden.

Nun ist der Aufsichtsrat ein aus mehreren Personen bestehendes Gremium. Es werden Kollektiventscheidungen getroffen, finden Abstimmungen statt, Aufsichtsräte werden »eingeschworen« oder überstimmt. Hier hat der Bundesgerichtshof klargestellt: Selbst überstimmte Mitglieder müssen nachweisen, dass sie alles Erdenkliche und Zumutbare getan haben, um mit den Mitteln des Aufsichtsrats die Katastrophe abzuwenden.

Fachliche Eignung des Aufsichtsrats

Der Aufsichtsrat ist ein wichtiges Kontrollgremium, ob gesetzlich vorgeschrieben nach dem Recht der Aktiengesellschaft (AktG), nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG, DrittelbG) oder als freiwilliges Gremium wie beispielsweise der Beirat gemäß Gesellschaftsvertrag.

Im Aufsichtsrat müssen fachlich qualifizierte Mitglieder deutlich überwiegen vor sogenannten Honorationen aus wirtschaftsferneren Gefilden, die immerhin für ein Maß an Vertrauenswürdigkeit und Außenwirkung sorgen können. Ob Träger politischer Spitzenämter eine gute Wahl sind, soll hier nicht etwa angezweifelt, sondern offen gelassen werden.

Haftung des Aufsichtsrats

Doch die Ausgangsfrage zielte darauf, ob die Mitglieder des Aufsichtsrats für eine Vernachlässigung ihrer Kontrollpflichten zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Das sollen sie und das müssen sie. Schließlich ist der Aufsichtsrat die letzte Verteidigungslinie, wenn die Geschäftsführung versagt. Um die Interessen der Aktionäre, der Anteilseigner – und bei öffentlicher Beteiligung – der Steuerzahler zu schützen.

Anderenfalls, wenn niemand für nichts haftbar ist, erübrigt sich das komplizierte Gebilde »Aufsichtsrat«, was eine effektive Kontrolle angeht. Von der Arbeitnehmer Mitbestimmung einmal abgesehen: Anglo-American company management structures funktionieren bestens mit nur einem »one-tier board«.

Siehe auch Flughafen BER (Schönefeld) – Haftung Aufsichtsrat, Corporate Governance

(Der Verfasser hat jahrelang als Vorstandsassistent und Justiziar Aufsichtsratssitzungen begleitet, diese protokolliert, dazu Beschlussvorlagen sowie Beschlussfassungen formuliert.)